Haftung bei Auffahrunfall
Motorradfahren macht Spaß. Noch mehr Spaß macht es, gemeinsam mit anderen in der Gruppe zu fahren. Wenn dann noch eng hintereinander gefahren wird, kommt es öfter zu Auffahrunfällen. Die Frage ist dann, wer haftet für den Schaden? Die Frage stellt sich in der letzten Zeit häufiger, da Motorradfahrer sich mit Aktionstagen und Protestzügen gegen die Sperrung ganzer Strecken stark machen. Auch die Gerichte mussten sich mit der Haftungsfrage bei Auffahrunfällen beschäftigen. Die scheinbar unterschiedlichen Entscheidungen sind durch wichtige Details begründet.
Auffahrunfall beim Fahren im Pulk auf offener Straße
Das Oberlandesgericht Frankfurt (Urteil vom 18.5.2015, Az. 22 U 29/14) hatte einen Fall zu beurteilen, bei dem vier Motorradfahrer zu einem Tagesausflug unterwegs waren. Der in der Gruppe Vorausfahrende kollidierte mit einem entgegenkommenden Pkw und stürzte. Sein Sturz führt dazu, dass zwei weitere Fahrer aus der Gruppe gleichfalls stürzten. Der Sachverständige sprach vom „Fahren im Pulk“. Das Gericht stellte klar: Wer einvernehmlich auf der Landstraße in wechselnder Reihenfolge als Gruppe unterwegs ist, ohne den üblichen Sicherheitsabstand einzuhalten, nehme billigend das Risiko in Kauf, dass die Beteiligten für den Fall von Unfallschäden stillschweigend auf Schadensersatzansprüche verzichten. Eine „Gruppe“ ist bereits dann anzunehmen, wenn mehr als zwei Motorradfahrer zusammen unterwegs sind.

Auffahrunfall bei polizeilich genehmigter Demo
In einem anderen Fall hatte das Amtsgericht Hannover im Juli 2021 zu entscheiden. Hier war es so, dass sich der unfallgeschädigte Motorradfahrer mit mehreren Hundert Gleichgesinnten zu einem Demonstrationszug zusammenfand. Die Demo war von der Polizeidirektion Hannover genehmigt. Die Genehmigung erfolgte unter der Auflage, dass die Fahrgeschwindigkeit der Versammlungsteilnehmer sich nach der Geschwindigkeit des vorausfahrenden Einsatzfahrzeuges der Polizei zu richten habe. Die Fahrzeugkette müsse geschlossen bleiben. Willkürliches und nicht mit der polizeilichen Einsatzleitung abgesprochenes Anhalten sei verboten.
Als der Demo-Zug von der Polizei eskortiert in Schleichfahrt vom Messegelände in Hannover sich zum Georgplatz aufmachte, sah sich der hinter dem Geschädigten herfahrende Fahrer abgelenkt, weil ihm Passanten von der Brücke zuwinkten. Dabei fuhr er auf den vor ihm fahrenden Motorradfahrer auf. Der Sachschaden an dessen Harley-Davidson betrug über 10.000 €. Die Versicherung des auffahrenden Unfallverursachers verweigerte den Schadensersatz.
Als Begründung wies die Versicherung darauf hin, dass die Demonstration nur unter Verstoß gegen eine Vielzahl von Vorschriften der StVO stattfinden konnte. So seien Abstandsregeln und Rechtsfahrgebot nicht eingehalten worden. Da den Teilnehmern der Demonstration diese Umstände voll bewusst waren, hätten sie in Kauf genommen, dass auch mit Auffahrunfällen zu rechnen sei. Mithin verwies die Versicherung auf die oben genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt, in dem das Motorradfahren im Pulk einen gegenseitigen Haftungsausschluss aller Teilnehmer begründet.
Das Amtsgericht Hannover sah die Sache jedoch anders. Es stellte klar, dass die Rechtsprechung des OLG Frankfurt keine Anwendung findet. Die Versicherung müsse in diesem Fall zahlen. Das Urteil des OLG Frankfurt beziehe sich nämlich auf einen Unfall, der sich beim freien Fahren auf der Landstraße ereignete. Hieraus ergebe sich ein völlig anderes Gefährdungspotenzial als bei einer langsamen Kolonnenfahrt. Wichtig war auch, dass die Teilnehmer der Demo den Auflagen der Polizei folgen mussten und allein dadurch das Abstandsgebot nicht eingehalten werden konnte.
Sind Sie Geschädigter eines Auffahrunfalls?
Sollten Sie in ähnlicher Form betroffen sein, können Sie mich gerne beauftragen. Ich bin Rechtsanwältin für Verkehrsrecht und Strafrecht in München. Vor allem, wenn der Unfall polizeilich aufgenommen wurde, ist dringend anzuraten, zuerst die Ermittlungsakten einzusehen. Erst wenn feststeht, was genau passiert ist, lässt sich beurteilen, wie in Ihrem Fall zu verfahren ist. Versuchen Sie nach Möglichkeit nicht, den Schaden in eigener Verantwortung regulieren zu wollen.